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An Ihrer Stelle würde ich lieber in der Kabine bleiben«, sagte der Spieler, als sie zurückkehrte. »In der Kleidung fallen Sie viel zu sehr auf.« Er musterte ihre Wollhosen und die dicke Felljacke. »In der Wildnis mögen die Hosen ja praktisch sein, aber selbst auf dem Zwischendeck habe ich nur Frauen in Kleidern oder Röcken gesehen, und Sie wollen doch nicht, dass sich die Leute das Maul über Sie zerreißen.« Sein Blick blieb an ihren Stiefeln haften. »In Alaska hat Whittler zwar kaum Einfluss, aber mit Geld lässt sich vieles regeln, und wenn er eine Suchmeldung über den Telegrafen ausgesandt hat, und zu viele Leute wissen, dass eine Frau, auf die seine Beschreibung passt, an Bord ist, kommt noch jemand auf die Idee, Sie an die Polizei zu verraten.«
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Polizei des amerikanischen Territoriums während des Trubels, in dem sich das Land während des Goldrausches befand, um eine angebliche Diebin aus Kanada kümmerte, war zwar gering, aber Ralston hatte recht. Frank Whittler war alles zuzutrauen. Wenn er nur den leisesten Verdacht hatte, dass sie mit dem Schiff nach Alaska geflohen war, würde er auch vor der Grenze nicht haltmachen.
Sie ging lieber auf Nummer sicher. »Sie haben recht, Sam. In dem Aufzug könnte ich auch ein Schild mit meinem Namen um den Hals tragen.« Sie blickte sich in der Kabine um. »Und wo soll ich Ihrer Meinung nach schlafen? Für ein unverheiratetes Paar ist sogar in dieser luxuriösen Kabine zu wenig Platz.«
Sie errötete wieder. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich …«
Er schien Gefallen an ihrer Verlegenheit zu finden und ließ den Halbsatz eine Weile in der Luft hängen, bevor er antwortete: »Keine Angst, Ma’am. Ich mag zuweilen in wenig respektablen Kreisen verkehren, aber ich weiß mich wie ein Gentleman zu benehmen.« Er verzog seinen Mund zu einem angedeuteten Lächeln, wie er es wohl am Spieltisch zeigte, wenn er ein besonders gutes Blatt aufgedeckt hatte. »Ich schlafe natürlich auf dem Sofa. Glücklicherweise gibt es ein solches Möbelstück in dieser Kabine, sonst würde ich wohl mit dem Boden vorliebnehmen müssen. Und um Ihnen die notwendige Privatsphäre zu verschaffen, werde ich die spanische Wand ausziehen.« Er deutete auf die stoffbezogene Klappwand, die vor dem Waschtisch stand. »Das Essen lasse ich vom Steward bringen. Wenn mich jemand auf Sie anspricht, sage ich ihm, dass Ihnen die Seekrankheit zu schaffen macht. Wenn ich ehrlich bin, war mir im offenen Gewässer vor Vancouver Island selbst ein wenig übel, und einigen anderen Passagieren erging es nicht viel besser. Wie wäre es mit einer kräftigen Hühnerbrühe und etwas Brot zum Mittagessen?«
»Wenn Sie einen Elchbraten bestellen und mir ein großes Stück davon abgeben …« Sie konnte schon wieder lachen. »Sie sind ein raffinierter Betrüger, Sam, wissen Sie das? Ich hoffe, beim Pokern sind Sie etwas ehrlicher.«
»Wenn nicht, würde ich öfter gewinnen«, erwiderte er scheinbar ernst.
Ralston bestellte zwar keinen Elchbraten, aber eine Terrine mit kräftigem Eintopf, den er brüderlich mit ihr teilte. Sie war hungrig nach der langen Nacht und den unbequemen Stunden im Rettungsboot und aß schneller, als es für eine Dame schicklich war. »Was erwarten Sie von einer Frau, die so gekleidet ist wie ich?«, beantwortete sie seinen fragenden Blick lächelnd. Die Hühnerbrühe, Standardkost für eine Seekranke, ließ sie unberührt stehen.
Als der Steward kam und das Geschirr abräumte, lag sie scheinbar krank auf dem Sofa und stöhnte schmerzerfüllt, als er sich nach ihrem Wohlergehen erkundigte. »Sie müssen ordentlich essen, wenn Sie wieder zu Kräften kommen wollen«, sagte er mit einem Blick auf die Hühnerbrühe. »Wenn Sie wollen, lasse ich sie Ihnen noch einmal aufkochen.« Er deutete ihr leises Stöhnen als Zustimmung und räumte ihren Teller ab. Sein mitfühlendes Lächeln ließ erkennen, dass sie nicht die erste Seekranke war, die er betreute. »Bis Alaska bleiben wir zwischen den Inseln, da ist der Seegang ruhiger«, tröstete er sie.
Nach dem Essen bat sie Ralston, ihr Briefpapier, einen Umschlag und Schreibzeug zu bringen, und schrieb einen Brief an Alex. Ohne auf den Spieler zu achten, der in einem Sessel saß, einen Zigarillo rauchte und einen Satz Spielkarten mischte, vertiefte sie sich in ihre Gedanken. »Liebster Alex«, begann sie, »zuerst möchte ich dir sagen, dass ich gesund und in Sicherheit bin. Du weißt, dass ich dich niemals im Stich lassen würde, aber Frank Whittler tauchte so plötzlich in der Stadt auf, dass ich keine andere Wahl hatte, als mich auf der S.S. California zu verstecken. Als Whittler auch dort nach mir suchte, verkroch ich mich in einem Rettungsboot und konnte von Glück sagen, dass Sam Ralston auf dem Schiff ist und den Captain überzeugen konnte, mich an Bord zu behalten.« Sie hütete sich, Alex zu verraten, dass Ralston sie als seine Frau ausgegeben hatte, und sie in seiner Kabine schlief. »Vom Captain und den Leuten auf dem Schiff droht mir keine Gefahr, obwohl Whittler natürlich an die Polizei in einem der Häfen, die wir anlaufen, telegrafiert haben könnte. Ich glaube jedoch eher, dass er uns irgendwo in der Wildnis vermutet. Viel größere Sorgen mache ich mir um dich. Ich habe dich überall gesucht und nur deinen Stiefel bei den Klippen gefunden. Wo steckst du, Alex? Ich befürchte, du warst auch vor Whittler auf der Flucht, und hoffe sehr, dass du inzwischen in Sicherheit bist. So leicht lässt du dich nicht unterkriegen, schon gar nicht von diesem verwöhnten Millionärssohn. Ich warte in Skaguay auf dich, Alex. Nur wenn es dort zu gefährlich für mich werden sollte, werde ich nach Dawson City weiterreisen und mir dort ein Quartier suchen. Ich habe die Hälfte unserer Ersparnisse mitgenommen. Den Rest des Goldes habe ich Mary Redfeather zur Aufbewahrung gegeben. An sie habe ich auch diesen Brief geschickt, weil du bei ihr sicher zuerst nach mir fragen wirst. Nimm den nächsten Dampfer nach Norden, und komm bloß nicht auf die Idee, mich hier länger als nötig sitzen zu lassen.« Ein Schmunzeln begleitete das Kratzen ihrer Feder. »Du weißt, dass ich dich über alles liebe und mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen kann. Also pack deine Sachen, und gehe an Bord!« Sie überlegte eine Weile und beendete den Brief mit den Worten: »Oder soll ich vielleicht allein auf Hochzeitsreise gehen? In großer Liebe, Clarissa.«
Sie las den Brief noch einmal durch, bevor sie ihn zusammenfaltete und in den Umschlag schob, und fügte eine Notiz für Mary Redfeather hinzu: »Liebe Mary, gib den beiliegenden Brief bitte Alex, wenn er bei dir auftaucht. Ich bin nach Alaska unterwegs. Tut mir leid, dass ich mich nicht von dir und Maggie verabschieden konnte, aber ich wollte Frank Whittler auf keinen Fall in die Hände fallen. Alles, was er sagt, ist gelogen! Ich wünsche dir und Maggie alles Gute und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen. Herzlichst, Clarissa.«
Auf den Umschlag schrieb sie »An Mary Redfeather, Port Essington, Canada«, klebte ihn zu und steckte ihn in ihre Jackentasche. In Skaguay würde sie ihn dem Kapitän übergeben und ihn bitten, ihn nach Port Essington mitzunehmen. Sie wandte sich an den Spieler, der inzwischen dabei war, eine Patience zu legen und sich über ein fehlerhaftes Blatt ärgerte. »In welcher Stadt legen wir als Nächstes an?«
Ralston steckte die Karten weg. »Fort Wrangel … ein ehemaliger Militärposten. Gegen Abend sind wir da.«
Sie kramte den Lederbeutel aus ihrer Jackentasche und schüttete einige Goldkörner in ihre Hand. »Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie mir dort eine neue Garderobe besorgen könnten. Eine ungewöhnliche Bitte, ich weiß, aber in einer Stadt würde ich noch mehr auffallen als hier an Bord. Nichts Besonderes … Ein Kleid, einen dunklen Rock, Unterwäsche, Strümpfe, und was eine Frau sonst noch braucht. Ich nehme an, Sie kennen sich mit Ladys aus.« Sie errötete leicht, eine Regung, die sie sich auch in der Wildnis nicht abgewöhnt hatte. »Und eine Reisetasche. Ich weiß nicht, ob es ein Kaufhaus mit Büchern und Zeitschriften in Fort Wrangel gibt, aber vielleicht könnten Sie nach dem neusten Buffalo Bill’s Wild West fragen, das lesen Alex und ich besonders gern.« Sie gab ihm das Gold. »Ich hoffe, ich verlange nicht zu viel von Ihnen?«
Durch das einzige Bullauge der Kabine beobachtete Clarissa, wie die S.S. California an einigen kleinen Inseln vorbei in den Hafen von Fort Wrangel lief und am Pier anlegte. Dahinter reichten die Häuser bis zu den Hängen eines steilen Berges hinauf. Seit die Soldaten aus dem ehemaligen Militärposten abgezogen waren, hatte sich Fort Wrangel zu einer betriebsamen Siedlung entwickelt. Clarissa konnte keine Telegrafenmasten entdecken, nahm aber an, dass es eine Leitung zwischen der Stadt und Juneau oder Sitka gab.
Das Schiff würde die ganze Nacht im Hafen bleiben, auch um neue Fracht, einige zusätzliche Passagiere und Brennmaterial aufzunehmen, doch obwohl die meisten Leute und sogar einige Besatzungsmitglieder von Bord gingen, blieb sie in ihrer Kabine und blätterte in einem Harper’s Weekly vom letzten Herbst, das wohl ein früherer Passagier liegen gelassen hatte. Ein seitenlanger Bericht war dem Goldrausch am Klondike gewidmet und erzählte von den ungeheuren Strapazen, die Goldsucher und Glücksritter aus ganz Amerika auf sich nahmen, um im Hohen Norden ihr Glück zu machen. Die meisten fuhren mit dem Schiff nach Skaguay und zogen entweder von dort über den White Pass oder von der Nachbarstadt Dyea über den Chilkoot Pass zum Lake Bennett, einem riesigen See, über den sie in teilweise abenteuerlichen Booten die Goldfelder bei Dawson City erreichten. Die Holzstiche zeigten die beschwerliche Wanderung der Männer über den steilen Chilkoot Pass, schwer beladen mit Ausrüstung und Gepäck, und den gefährlichen Ritt über den White Pass Trail, von dem Magazin als »Pfad der toten Pferde« betitelt. Der Anblick der detailgetreuen Abbildungen ließ ihr Herz in die Hose sinken und schien ihr erst jetzt bewusst zu machen, auf welches Abenteuer sie sich eingelassen hatte.
Auch Alex und sie konnten nicht in Skaguay bleiben, niemand konnte sich dort häuslich niederlassen außer ein paar Händlern und Soapy Smith, der von der Dummheit und dem Leichtsinn der durchziehenden Goldsucher lebte. Sobald der Goldrausch vorüber war, würden auch sie die Stadt verlassen, und Skaguay fiel wieder in die Lethargie der früheren Jahre zurück. Jetzt diente der Ort als Basiscamp für die vielen tausend Goldsucher, die am Klondike ihr Glück versuchten, und für Alex und sie, bevor sie über einen der Pässe in die Wildnis vordrangen und möglichst abseits der Zivilisation eine neue Zukunft fanden. Am Yukon River gab es zahlreiche Handelsposten der Hudson’s Bay Company, wo man Pelze eintauschen konnte. Von Dawson City, das als »Paris des Nordens« und »Außenposten der Zivilisation« verherrlicht wurde, würden sie sich fernhalten. Selbst Alex hatte inzwischen die Lust daran verloren, in der Stadt auf die Pauke zu hauen, wie er es nannte, und den Whisky, den er manchmal brauchte, gab es bei der Hudson’s Bay zu kaufen. Auch der Holzstich eines solchen Handelspostens war in dem Magazin abgedruckt. Am Tresen stand ein bärtiger Mann mit einer gestreiften Wollmütze und deutete auf die vollen Regale, und darunter stand: »In den einsam gelegenen Handelsposten der Hudson’s Bay Company gibt es alles, was man in der Wildnis zum Leben braucht – und mehr.«
Clarissa schlief bereits, als Sam Ralston spätnachts mit einer vollgepackten Reisetasche aus Fort Wrangel zurückkehrte. Sie blinzelte in das flackernde Licht der Öllampe, die er angezündet hatte, und sah ihn zufrieden lächeln. »Sam!«, rief sie erstaunt. »Wo bleiben Sie denn? Es ist nach Mitternacht!«
»Ich habe Ihre Sachen«, erwiderte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Er stellte die Reisetasche auf einen Sessel und nahm seinen Zylinder ab. »Ich habe dem Verkäufer gesagt, meiner Frau wäre der Koffer ins Wasser gefallen, und sie bräuchte dringend neue Kleidung. Sie wäre seekrank geworden und könnte leider nicht selbst kommen. Er wünscht Ihnen gute Besserung. Die Frau des Verkäufers hatte ungefähr Ihre Statur und hat mir bei der Auswahl geholfen.« Er zog einen dunkelgrünen Rock, ein graues Kleid mit weißem Kragen, einen flachkronigen Hut, eine Bluse, Handschuhe sowie einige Utensilien, von denen er wohl annahm, dass eine Frau sie brauchte, aus der Reisetasche. Die Handschuhe wären selbst in einer Stadt wie Skaguay wichtig.
Sie verzog sich hinter die spanische Wand und probierte die neuen Sachen an. Das Kleid war ein wenig zu groß, ließ sich aber tragen, und der Rock und die Bluse saßen perfekt, auch die Handschuhe ließen sich leicht überziehen. Vor mehr als zwei Jahren in Vancouver hatte sie zum letzten Mal welche getragen. »Und Sie haben acht Stunden gebraucht, um das alles zu kaufen?«
»Nun«, antwortete er scheinbar reuevoll, »ich habe mir ein leichtes Abendessen in Henry’s Café gegönnt und war anschließend auf ein Bierchen im Saloon. Ein außerordentlich elegantes Etablissement für eine Stadt dieser Größe übrigens. Und … nun … die restliche Zeit habe ich am Spieltisch verbracht.«
Sie blickte hinter der spanischen Wand hervor. »Mit meinem Gold?«
»So viel war nicht mehr übrig, und ein wenig Bargeld habe ich auch einstecken, wie Sie wissen.« Er klang ein wenig beleidigt, fing sich aber gleich wieder. »Aber Sie können froh sein, dass ich auch ein paar Goldkörner aus Ihrer Barschaft in den Pott geworfen habe. Ich hatte eine Glückssträhne, müssen Sie wissen, zwei Mal Full House und einen Straight Flush innerhalb von drei Stunden, und konnte Ihren Einsatz sogar vervielfachen.« Er reichte ihr einen Beutel mit Goldkörnern. »Jetzt haben Sie mehr Gold als vorher.« Er lächelte. »Ich glaube nicht, dass man mir deshalb einen Vorwurf machen kann.«
»Sie haben für mich gepokert?« Sie griff ungläubig nach dem kleinen Lederbeutel. »Und gewonnen?« Ihre Miene verfinsterte sich. »Tun Sie das nie mehr wieder, Sam!«
Am nächsten Morgen wagte sie sich zum ersten Mal in Rock und Bluse aus ihrer Kabine und genoss die frische Luft, die ihr an Deck entgegenwehte. Sie hatten bereits abgelegt und nahmen Kurs auf Sitka, die ehemalige Hauptstadt von Russisch-Amerika, wie sie dem Prospekt der Pacific Coast Steamship Company entnommen hatte. Während des frühen 19. Jahrhunderts war die Stadt mit ihren farbenprächtigen orthodoxen Kirchen ein wichtiger Außenposten des russischen Zarenreiches gewesen, und in den Schlössern und Prachtvillen hatten Zaren und Grafen genächtigt. Die Sonne war hinter einigen Wolken verschwunden, und es nieselte ein wenig, eine willkommene Abwechslung zu der stickigen Luft in der Kabine. Sie hatte nicht gewagt, dem Spieler das Rauchen zu verbieten, immerhin hatte er ihr zwei Mal das Leben gerettet, und ohne ihn würde sie noch viel ungesündere Luft atmen.
Sie blieb an der Reling stehen und ließ die dichten Wälder auf unzähligen kleinen Inseln an sich vorüberziehen. Der Kapitän hatte sicher alle Hände voll zu tun, sein Schiff durch diese engen Kanäle zu steuern. Vor der felsigen Küste tauchten zwei Buckelwale aus dem Wasser, die ersten Rückkehrer aus den warmen Gewässern vor Hawaii, ihrem bevorzugten Winterquartier. Auch das wusste Clarissa aus dem Prospekt der Schifffahrtsgesellschaft. Sie sah den Walen zu, wie sie schnaubend das Wasser aus ihren Stirnöffnungen stießen und beim Untertauchen ihre mächtigen Schwanzflossen aus dem Wasser reckten. Ein erhebender Anblick, den sie auch in den Gewässern vor Vancouver oftmals genossen hatte. Die Indianer behaupteten, in den Walen würden die Seelen besonders geschätzter Mitmenschen weiterleben, und sie fragte sich, ob ihre Eltern zurückgekommen waren, um ihr Mut zuzusprechen, so wie der geheimnisvolle Wolf, der ihr seit über zwei Jahren zur Seite stand.
Vom Zwischendeck klang Musik herauf, sie konnte die beiden Wale aber nicht vertreiben. Die mächtigen Tiere blieben vor der Küste, tauchten öfter auf als nötig und schienen es sogar den Delfinen gleichtun zu wollen, die dem Dampfschiff oft meilenweit folgten und ihre Kunststücke zeigten. Clarissa wartete, bis die Wale im leichten Morgennebel verschwanden, wischte sich einige Tränen aus den Augen und stieg die Niedergänge zum Zwischendeck hinunter. Obwohl die immer fröhlicher und ausgelassener klingende Musik so gar nicht zu der melancholischen Stimmung vor der nebligen Küste und in ihrem Herzen passte, zogen sie die Klänge auf beinahe magische Weise an.
Auf eine Hochzeit war sie jedoch nicht vorbereitet. In dem großen Speisesaal schienen sich die Passagiere aller Klassen versammelt zu haben und feierten ein junges Brautpaar, das auf einem der langen Tische eine stilechte Polka hinlegte und den Takt für die anderen Passagiere vorgab, die zwischen den Tischen tanzten, mit Männern und den wenigen Frauen, und sich diebisch über die Abwechslung an Bord zu freuen schienen. Die Kapelle bestand aus zwei bärtigen Männern mit Ziehharmonikas und einer stämmigen Frau, die mit beiden Händen auf einen hölzernen Waschzuber trommelte. Ein spindeldürrer Mann in der Kleidung eines Pastors dirigierte sie mit einem Bierkrug.
Bevor Clarissa sich versah, packte sie ein junger Mann mit feuerroten Haaren und wirbelte sie zu den wilden Klängen zwischen den Tischen hindurch. Sie verlor beinahe ihren neuen Hut und verhinderte nur durch einen gewagten Seitenschritt, dass sie nicht stolperte, während sie dachte: Das können nur Iren sein!